Das Risiko jeder Kündigung: der Verzugslohn
Als Verzugslohn-Risiko wird bezeichnet das Risiko des Arbeitgebers, bei unwirksamer Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Lohn nachbezahlen zu müssen, ohne eine Arbeitsleistung erhalten zu haben.
Geregelt ist dies im § 615 BGB, ähnlich auch in § 11 Kündigungsschutzgesetz.
Die Anrechnung anderweitigen Erwerbs
Der Arbeitnehmer muss sich aber anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt.
Er muss sich weiter anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt.
Oft übersehen wird, dass auch ersparte Aufwendungen anzurechnen sind, zum Beispiel für die Fahrt zur Arbeit.
Dies wird oft vernachlässigt, weil diese Beträge doch sehr gering sind im Vergleich zu den anderen Summen, um die es hier geht.
Anzurechnen sind Leistungen der Sozialversicherung, insbesondere Arbeitslosengeld. Der Arbeitgeber muss diese an die Sozialversicherungsträger erstatten. Sein Risiko bleibt also bei Arbeitslosigkeit in voller Höhe bestehen.
Das klingt alles sehr theoretisch. Wie unterschiedlich das Verzugslohn Risiko in der Praxis ausfällt, lässt sich an den folgenden Beispielen zeigen:
Beispiele für das Verzugslohn-Risiko
Der Ausgangsfall bleibt gleich: der Arbeitgeber kündigt am 31. März 2020 das Arbeitsverhältnis nach neun Jahren fristgerecht zum 30. Juni 2020 und bezahlt bis dahin die geschuldete Vergütung. Das Bruttomonatsgehalt beträgt 3.000,00 €.
Das Arbeitsgericht erklärt die Kündigung in der I. Instanz für wirksam, das Landesarbeitsgericht entscheidet am 30. September 2021 anders und erklärt die Kündigung für unwirksam. Das Arbeitsverhältnis besteht also die ganze Zeit ungekündigt fort.
Nach der gefestigten Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte ist der Arbeitgeber bis zum Urteil der II. Instanz im Annahmeverzug. Er schuldet also die Vergütung für 15 Monate, § 615 BGB. In welcher Höhe?
Verzugslohn-Risiko Fall 1 - lange Arbeitslosigkeit
Fall 1: der Arbeitnehmer meldet sich arbeitslos und bezieht ab dem 1. Juli 2020 für zwölf Monate Arbeitslosengeld und erzielt Mieteinnahmen aus einem geerbten Mehrfamilienhaus. Danach bleibt er weiter arbeitslos, muss jedoch wegen hoher Mieteinnahmen keine Leistungen nach Hartz IV beantragen.
Lösung: der Arbeitgeber muss den Lohn für 15 Monate nachzahlen. Der Arbeitnehmer muss sich zwar die Zahlungen der Agentur für Arbeit anrechnen lassen; der Arbeitgeber hat diese Leistungen zuzüglich der Sozialversicherungsbeiträge der Agentur für Arbeit zu erstatten.
Schlecht gelaufen für den Arbeitgeber: Risiko mehr als 50.000,00 €!
Mieteinnahmen muss der Arbeitnehmer sich nicht anrechnen lassen, da sie unabhängig von dem Wegfall seine Arbeitsleistung im streitigen Arbeitsverhältnis zuflossen.
Die gesamten Kosten für den Arbeitgeber belaufen sich also auf 3000,00 € Bruttolohn für 15 Monate zuzüglich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, also weit über 50.000 €.
Verzugslohn-Risiko Fall 2 - lange Arbeitsunfähigkeit
Fall 2: wie Fall 1, mit folgender Abwandlung: der Arbeitnehmer erhält per 1. Juli eine ärztliche Bescheinigung der Arbeitslosigkeit und bezieht in der Folge bis September 2021 Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der "Gelbe Schein" macht manchmal Arbeitgeber doch glücklich!
Lösung: Hier beschränkt sich der Verzugslohn des Arbeitgebers auf die gesetzliche Lohnfortzahlung von sechs Wochen. Eventuell kommt noch das Risiko hinzu, Urlaub abgelten zu müssen, falls der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig wird. Insgesamt beträgt das Risiko des Arbeitgebers aber nur einen Bruchteil des Risikos aus dem Fall 1.
Verzugslohn-Risiko Fall 3 - Arbeitsunfähigkeit beginnt mit Zugang der Kündigung
Fall 3: wie Fall 2, nur erkrankt die Arbeitnehmer unmittelbar nach Erhalt der Kündigung.
Lösung: die Vergütungspflicht des Arbeitgebers endet bereits vor dem 30. Juni 2020, mit dem Ende der sechswöchigen Lohnfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit. Allenfalls etwaige Urlaubsansprüche sind abzugelten.
Verzugslohn-Risiko Fall 4 - Arbeitnehmer findet neuen Arbeitsplatz
Der Arbeitnehmer findet bereits für den 1. Juli 2021 ein neues Arbeitsverhältnis, bei dem er jedoch 200,00 € brutto im Monat weniger verdient.
Lösung: der Arbeitgeber schuldet für 15 Monate jeweils 200,00 €, insgesamt also 3.000,00 €.
Eventuell sind noch Urlaubsansprüche offen. Die muss der Arbeitgeber noch abgelten.
Urlaubsabgeltung - kleiner Trost für emsige Arbeitnehmer
Der Abfindungsvergleich als Alternative
Die Arbeitsgerichte versuchen bei jeder Verhandlung den Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beenden.
Der typische Vergleichstext würde hier neben anderen Punkten regeln:
„Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis
aufgrund fristgerechter ordentliche Kündigung mit dem 30. Juni 2021 beendet
ist.
Der Beklagte (= Arbeitgeber) zahlt an den Kläger (=
Arbeitnehmer) ein Betrag von X € als Abfindung für den Verlust des
Arbeitsplatzes..”
Diese Abfindung wird nicht vom Gericht festgesetzt. Das Gericht macht regelmäßig einen Vorschlag. Entscheidend ist aber, was die Parteien als Abfindung aushandeln.
Der Regelsatz: Für jedes Jahr ein halbes Gehalt
Wenn das Gericht hier die übliche Formel anwendet, pro Jahr der Beschäftigung ein halbes Bruttogehalt, so wäre der Vorschlag des Gerichts ein Abfindungsbetrag von 13.500,00 €.
Wer die Zukunft kennt, ist klar im Vorteil
Hätte der Arbeitgeber im Fall 1 einen solchen Vorschlag akzeptiert, hätte er viel Geld gespart. Und er hätte sich auch den innerbetrieblichen Autoritätsverlust erspart, der mit dem Wiedererscheinen des Arbeitnehmers im Betrieb verbunden ist.
In den Fallvariationen 2-4 wären die Abfindungszahlungen höher gewesen als der finanzielle Schaden beim Verlust des Prozesses.
Hier sind also hellseherische Fähigkeiten gefordert. Aber natürlich kann man nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnen. Es ist sehr selten, dass bei Erhalt der Kündigung erkrankte Arbeitnehmer alsbald wieder gesunden. Im Gegenteil: Kündigungen führen oft zur Arbeitsunfähigkeit.
Böswillig unterlassener Erwerb
Der Arbeitnehmer muss sich nicht nur anrechnen lassen, was er mit seiner Arbeitskraft erwirbt. sondern auch das, was er „zu erwerben böswillig unterlässt”, § 615 S. 2 BGB.
Die Chancen für Arbeitgeber, dadurch etwas zu ersparen, sind gering. Wir erlebten noch keinen Fall, in dem dies gelang. Die Latte zur Böswilligkeit liegt sehr hoch.
So genügt die Meldung bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend. Weitergehende Anstrengungen kann der Arbeitgeber nicht fordern.
Es ist nicht böswillig, wenn der Arbeitnehmer sich entschließt, eine Zusatzausbildung zu beginnen. Ebenso wenig gilt ein vorübergehender Auslandsaufenthalt an sich bereits als böswilliges Unterlassen von Erwerb.
Das Risiko des Verzugslohns steuert die Höhe der Abfindung
Ist ein Rechtsanwalt mandatiert wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, so muss er immer dieses Verzugslohn-Risiko im Blick behalten.
Im Arbeitnehmermandat bestimmt dieses Verzugslohn-Risiko die Chancen, die Abfindung hoch zu treiben.
Beim Mandat für Arbeitgeber muss man als dessen Rechtsanwalt alles tun, dieses Risiko des weiterlaufenden Verzugslohns in den Griff zu bekommen. Die besten Kündigungsgründe nützen nichts, wenn die letzte Instanz sie nicht absegnet.
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Beachten Sie, dass in vielen Rechtsangelegenheiten Fristen laufen, deren Versäumen Ihnen zum Nachteil gereichen kann. Diese Fristen können oft sehr kurz sein. Es gibt Maßnahmen, die müssen "unverzüglich" ergriffen werden. "Unverzüglich" heißt nach der gesetzlichen Definition: ohne jegliches schuldhaftes Zögern. Bereits leichte Fahrlässigkeit genügt als Schuld.